Samstag, 24. März 2012

Robert und der Klassenlehrer

Eines Tages kommt der Klassenlehrer in die Klasse. Ihn begleitet ein schwarzäugiges, pummeliges Mädchen. "Der Robert gehört schon zu Eurer Klasse, der David gehört schon zu Eurer Klasse. Die Cigdem hier gehört jetzt auch zu Eurer Klasse.", stellt der Klassenlehrer das Mädchen vor.

Du lieber Mann! Da ist was los! Am lautesten regt sich Robert auf. Robert ist der Klassensprecher und ein bekannter Draufgänger und Klassenschläger; dominant, rechthaberisch, besserwisserisch. Die ganze Klasse fürchtet sich vor ihm. Am meisten fürchtet sich David vor Robert. Er ist nämlich ein Außenseiter. Und Robert hat es deshalb ganz besonders auf David abgesehen. Oft genug schindet und quält Robert ihn ohne erkennbaren Anlaß. Nichts kann Robert von seiner sadistischen Lust abbringen. Alle seine Klassenkameraden gehen David aus dem Wege. Niemand will es sich ja mit Robert verderben. Und da sich Robert nun erregt, sind alle anderen in der Klasse auch erregt, denn alle wollen ihren Frieden, besonders aber ihren Frieden mit Robert.

Und nun soll plötzlich Cigdem in die Klasse aufgenommen werden. Da steht Robert auf, der Klassensprecher, und hebt an zu sprechen:

"Ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen, Cigdem gehörte nun ganz plötzlich (12) zur Klasse! (1) Ich weiß aber, was Sie meinen, Herr Klassenlehrer! (2) Ich verrate es Ihnen: Die gehört nicht hierher! Die ist primitiv und rückständig! Die mögen wir nicht! (4)"

Robert begründete nun:

"Wir haben nämlich ganz andere Traditionen. (7) Die machen unsere Klasse wenig einladend (5, 6), müssen Sie wissen, lieber Herr Klassenlehrer! Und die Parallelklasse ist auch nicht besser! Diese Musterschüler und Lieblinge des gesamten Lehrkörpers wollen Cigdem nämlich auch nicht! (8, 11) Sie dürfen jetzt nicht denken, Herr Klassenlehrer, wir wären überheblich, intolerant, frech und ungezogen! Nein, das sind wir nicht. Wir stellen nur hohe moralische Ansprüche über Ihre falsche Toleranz. Seit langem hat sich unsere Klasse auf diese Ansprüche verständigt, und Cigdem ist zu primitiv und barbarisch, um ihnen genügen zu können. Da müssen wir uns vorsehen, damit nicht diese Kreatur unsere Klasse übernimmt, und unsere Ansprüche verdrängt, nur weil wir sie nicht entschlossen genug verteidigen. Da müssen Sie sich schon damit abfinden, Herr Klassenlehrer, daß wir jedem die Fresse polieren, der sich uns nähert und unseren hohen moralischen Ansprüchen nicht genügt. (9) Diese Cigdem da genügt unseren moralischen Ansprüchen nicht. (15) Solche Leute wie Cigdem pflegen ja friedliche Menschen vollkommen grundlos zu einer blutigen Masse zusammenzuschlagen. Haben Sie denn keine Angst? Sie lieben doch Ihr Leben, Herr Klassenlehrer! Nicht?"

Er drückt sich sehr mitfühlend aus. Aber Cigdem kommt überhaupt nicht dazu, den Klassenlehrer etwas anzutun, denn er wird vom Dienst suspendiert, weil er angeblich ein paar herumliegende Bleistifte hat mitgehen lassen. Jetzt kämpft er um seine Pension.

Genau wie diesem Robert, den wir soeben kennengelernt haben, ist auch vielen anderen Bürgern in unserem Lande nicht jedermann deutsch genug, um in unserem Land in Frieden leben zu dürfen. Wir würden uns ja nicht helfen, das zu übersehen. (4) Bürger wie Robert haben Wertschätzung verdient. Ihnen muß zugehört werden, auch wenn es manchmal unbequem ist. Nichts anderes bedeutet Freiheit. Und wenn sich Robert bemühen würde, sich etwas diplomatischer auszudrücken, dann kann sogar aus ihm ein Bundespräsident werden, denn er lebt ja in einem guten Lande. Seine Freiheit gibt ihm wunderbare Möglichkeiten.

Im vorliegenden Beitrag habe ich in Klammern Zahlen hinzugefügt, die sich auf die Punkte in Till Westermayers Blogbeitrag beziehen. Diese Punkte enthalten geeignete Vorschläge, um sich diplomatischer auszudrücken. Jetzt kann nichts mehr schiefgehen.

Nachtrag (2012-03-24): Er, der einmütig gewählte Kandidat der Nationalen Front, wahrhaftig heißgeliebte Führer des Volkes, hat sich redlich Mühe gegeben, die Bedenken bezüglich seiner Person zu entkräften. Warten wir ab! Einen proletarischen Klassenstandpunkt wird man selbstverständlich niemals von ihm erwarten können. Aber vielleicht kann er ja mich überzeugen, so daß er mir ebenso gleichgültig wird wie Christian Wulff, Richi Weizsäcker und all die anderen Bundesgrüßauguste.

Montag, 5. März 2012

Zusammenhänge

Das ist ja prima! Endlich kommen die Netzbürger dahinter, wen sich unsere Republik mit Herrn Gauck einhandelt. Bis vor noch nicht allzu langer Zeit waren ja kritische Anmerkungen zu seiner Person selten. Die Begeisterung für seine Person habe ich nie verstanden. Netzbürger halten sich doch sonst für kritische Zeitgenossen und lehnen die Bildzeitung ab.

Mir war der Mann nie sympathisch. Ich wußte aber nie, wie ich diesen Widerwillen rechtfertigen soll. Jetzt endlich ahne ich, wie eine Rechtfertigung beginnen könnte. An anderer Stelle erwähnte ich schon, daß man häufig den Kontext deutlich machen muß, wenn man Aussagen richtig verstehen will. Es heißt ja, kritische Netzbürger würden Herrn Pfarrer Gaucks Aussagen aus dem Zusammenhang reißen.

Nein, mit dem Zusammenhang steht alles in bester Ordnung. Die meisten Netzbürger verstehen Herrn Pfarrer Gauck schon richtig. Aber den Zusammenhang müßte man deutlich machen. Zum Glück gibt es aber ja das Internet, an dem sich jeder Weltbürger beteiligen kann. Das, was man im Internet findet, entspricht genau dem, was der Weltbürger denkt. Dafür liebe ich das Internet! Es bietet nicht nur die Pressefreiheit für jeden. Es dokumentiert auch jeden Gedanken, jede Dummheit, jeden Konflikt und jede Ideologie, und natürlich auch, wie Herr Pfarrer Gauck in der Öffentlichkeit verstanden wird. Ich verpflichtete ja nicht umsonst schon jeden klugen Menschen zur Lektüre problematischer Internetinhalte, also auch schräger, böswilliger, antisemitischer Inhalte, und forderte von diesen Menschen, daß wenn sie sich über sie auslassen, daß sie das mit Angabe von Quelle tun mögen.

Da gibt es einen melancholischen Blog, der sich mächtig ins Zeug legt, Herrn Pfarrer Gauck zu verteidigen. Dumm für ihn ist, daß er meine Abneigung gegenüber Herrn Pfarrer Gauck nur bestätigt, und ich zu ahnen beginne, woran das liegt. Diesen Blog empfehle ich also ausdrücklich der Lektüre. Der betreffende Blogger schreibt aus einer sehr persönlichen Sicht, und sehr eindringlich, und sehr ehrlich. Dieser Blog macht einen starken Eindruck. Dank seinen Ausführungen weiß ich, wie die Verteidiger Gaucks Gauck verstehen. Und dank der persönlichen Perspektive und seiner beachtlichen Ehrlichkeit entwickelt dieser Blogger wohl unbeabsichtigt ein grandioses Bild seines Ressentiments, seiner Projektionen, die seinem misanthropischen Weltbild zugrunde liegt, das ihn dazu bringt, Herrn Pfarrer Gauck zu verteidigen. Aber bitte, lest selbst! - und das hier gleich auch noch!

Ja, aber! Von einem einzelnen auf den allgemeinen Fall schließen; das geht nicht. Das ist sicherlich richtig. Aber dieser Blogger hat im Unterschied zu anderen durchaus Qualitäten. Zum Beispiel pflegt er sich deutlich und klar auszudrücken, besonders, wenn er psychologischen Stoff behandelt. Deshalb habe ich mich auf ihn beschränkt. Auf der anderen Seite habe ich mit Gaucks Erscheinung keine besseren Erfahrungen machen können. Für mich bleibt Gauck also jemand, der für einen zweifelhaften Begriff von Freiheit und für das Ressentiment streitet. Ich erwarte nichts Gutes von ihm.

Nachtrag: Hätte ich nur einen kleinen Augenblick gewartet, wäre dieser Beitrag nicht entstanden. Da gibt es doch tatsächlich jemanden, der zu genau derselben Zeit den gleichen Gedanken hatte wie ich, nur umfassender ausgeführt und besser formuliert.

noch ein Nachtrag: Ehe nach einer gewissen Zeit die Gauck-Geschichte vergessen ist, und man diesen Blogbeitrag vielleicht nicht mehr verstehen kann, möchte ich auf einen Aufsatz verweisen, der meine eigenen Blogbetrachtungen angestoßen hat. Sinngemäß wird hier angemerkt, daß das Netzvolk Gaucks Aussagen aus dem Zusammenhang risse. Er sei ja aber ein Mann der langen Worte, ausschweifend, ausholend, der Empathie für sein Gegenüber fähig usw., und da müsse man seine Aussagen auch differenzierter betrachten und vermeiden, sich zu schnell ein zu einfaches Urteil über ihn zu bilden.

Nun. Es gibt ja nicht nur die blökende Netzherde, die sich bei Twitter und Facebook herumtreibt. Inzwischenn etabliert sich auch die Kunst der Gauck-Exegese, die nachweist, daß Gauck, "verschwurbelt" oder "relativierend" zwar, aber doch rhetorisch ausgrenzt, spaltet. Ich möchte auf Till Westermayers Beitrag verweisen, der belegt, daß auch ein Mann der langen Worte, ausschweifend, ausholend einen Ausgrenzungsdiskurs führen kann.