Ein Märchen
Neoliberale Wirtschaftsexperten erzählen auch gern Märchen. Ein Märchen, das Zinskritiker gern erzählen, haben wir ja hier schon kennengelernt, s. Kapitel "Die Fabel". Das Märchen, das die neoliberalen Wirtschaftsexperten erzählen, spielt in derselben Puppenstube. In ihr hausen ein paar Vertreter der nur in unserer Geschichte vorkommenden Spezies homo oeconomicus, die alle möglichen Berufe ausüben, etwa den des Schreiners, des Bäckers, des Metzgers, des Schuster etc. Jeder dieser Handwerker produziert ganz viel von genau einer Sorte Zeug. Der Schreiner produziert unentwegt Möbel, der Bäcker ohne Unterlaß Brote, der Metzger seinen Lebtag Würste und der Schuster Schuhe. Jeder dieser Handwerker besitzt von dem Zeug, das er produziert, bald so unglaublich viel, daß er damit die Schweine füttern könnte.
Die ersten Schuhe, die z.B. der Schuster produziert, sind ja noch nützlich. Die zweiten und dritten benötigt die Familie. Aber alle übrigen Schuhe, die der Schuster produziert, produziert er aus Jux und Dollerei, eben, weil er ein Schuster ist, und er deshalb andauernd Schuhe produzieren muß, eben weil ein Schuster seinen Lebtag lang immerzu Schuhe produzieren muß. Davon geht jedenfalls der gewöhnliche neoliberale Wirtschaftsbescheidwisser aus, und redet vom abnehmenden Grenznutzen. Damit möchte er ausdrücken, daß je länger ein Schuster arbeitet und je mehr Schuhe er produziert, desto weniger Nutzen er von seiner Arbeit hat.
Auf der anderen Seite krepiert derselbe Schuster bald vor Hunger. Denn der Schuster hat ja nichts zu essen außer den Schuhen, die er, ohne selbst zu wissen wozu, unentwegt selbst herstellt. Und sich ausschließlich von Schuhen zu ernähren, ist auf die Dauer doch recht einseitig und ungesund.
So ähnlich ergeht es allen Vertretern der Gattung homo oeconomicus in unserer Geschichte, die alle von genau einer Sorte Zeug so viel besitzen, daß sie die Schweine damit füttern könnten und von den anderen Sorten Zeug, das man so zum Leben braucht, überhaupt nichts. So sind diese Vertreter dieser Spezies eben. Doch sie wissen sich zu helfen: Sie tauschen. Sie tauschen einfach, das Zeug, das sie zuviel besitzen, gegen etwas, was sie zum Leben benötigen, anstatt es an die Schweine zu verfüttern. Dabei verbessert sich der Grenznutzen für alle Beteiligten. Der Schuster tauscht zum Beispiel nutzlose Schuhe gegen nützlichere Brote.
So stellt sich die Wirtschaft ihren Experten dar. Die Handwerker würden nun andauernd ihren Grenznutzen optimieren, indem sie andauernd tauschten. Und damit die Handwerker es etwas leichter haben, wenn sie unentwegt tauschten, haben sie sich auf ein einziges Tauschmittel geeinigt, das Geld. Und weil der Grenznutzen nach der ganzen Optimiererei optimal ist, ist auch die Geldwirtschaft, die draußen ihr Wesen treibt, grenznutzen-optimal, d.h. der Kapitalismus ist das Beste, was der Menschheit passieren konnte.
Das ist natürlich alles Quatsch!
Die Realität
Die Grundlage dieser Wirtschaftswissenschaft ist nämlich ein Märchen. Das sagte ich schon.
Es gibt nämlich durchaus Gesellschaften, in der Geld nur eine geringe Rolle spielte. Zu diesen Gesellschaften gehörte das frühe europäische Mittelalter. In dieser Gesellschaft gab es aber auch die kleinbürgerlichen Berufe überhaupt noch nicht. Die Menschen saßen damals als Bauer auf ihrer Scholle und stellten praktisch alles selbst her, was sie benötigten, auch Möbel, Brote, Würste und Schuhe. So etwas nennt sich Naturalwirtschaft, Subsistenzwirtschaft.
Erst das Hochmittelalter brachte nämlich das Bürgertum hervor, unter ihnen die Schreiner, Bäcker, Metzger und Schuster, und erst nachdem die Geldwirtschaft einzog. Wie das Geld in die Gesellschaft trat, diese Naturalwirtschaft verdrängte und die moderne kapitalistische Gesellschaft entstand, kann man u.a. hier und hier nachlesen.
Eine kapitalistische Gesellschaft betreibt Warenproduktion. Eine Ware ist ein Produkt, das ausschließlich für den Austausch gegen Geld produziert wird und nicht für den Bedarf des Produzenten. Die Wirtschaft der Schreiner, Metzger, Bäcker und Schuster entspricht genau diesem Typ. Jetzt wissen wir, warum der Schuster nicht aufhören kann, unentwegt nichts als Schuhe zu produzieren. Um Geld zu verdienen! Wer hätte das gedacht?
Damit Warenproduktion stattfinden kann, muß es also Geld geben. Dann erst können Warenproduzenten, unter ihnen die Schreiner, Bäcker, Metzger und Schuster Waren produzieren. Die Geschichte, daß sich Schreiner, Bäcker, Metzger und Schuster sich irgendwann auf ein Tauschmittel einigten, ist demnach ein Märchen. Das sagten wir bereits. Neoliberale Wirtschaftsauskenner und die schon erwähnten Zinskritiker verwechseln also konsequent Ursache und Wirkung: Das Geld ist nicht entstanden, weil es für arbeitsteiliges Wirtschaften notwendig und zweckmäßig wäre, sondern umgekehrt: Das Geld ermöglicht die Spezialisierung und die Warenproduktion.
Konditionale Logik
Konditionale Logik verführt Menschen zu derartigen Fehlschlüssen. Zunächst stellt man sich eine Welt vor. Diese Welt sieht der Realität ähnlich, wurden doch die Gegenstände, die Schreiner, die Bäcker, Metzger und Schuster der Realität entnommen, und in diese vorgestellte Welt eingeführt. Die von der Geldwirtschaft ermöglichte Arbeitsteilung und Spezialisierung praktizieren diese Schreiner, Bäcker, Metzger und Schuster auch in dieser vorgestellten Welt. Jedoch wurde diese Welt verfremdet: Dieser vorgestellten Welt wurde die entscheidende Voraussetzung für die bürgerliche Existenz dieser Handwerker aus dem Leib gerissen: das Geld.
Wie bereits erwähnt, beschreibt diese Welt kein Modell, das irgendeiner geschichtlich nachweisbaren Realität entspräche. Doch steht genau diese Welt am Anfang der Wirtschaftslehre. Zunächst stellt man fest, daß das Geld in dieser vorgestellten Welt fehlt, dem in der realen Welt die wichtige Aufgabe zufällt, die Arbeitsteilung zu ermöglichen. Das ist kein Wunder. Schließlich haben wir uns unsere Welt ja ohne Geld vorgestellt. Das dieser Welt aus dem Leib gerissene Geld hinterläßt jedoch ein großes Loch, das uns unwiderstehbar verführt, folgende falsche Fragen zu stellen: Wie kommen denn die Brote, die der Bäcker bäckt, zu den anderen Handwerkern? Dafür kann es ja nur zwei Erklärungen geben: Die erste, die Planwirtschaft fällt aus. Man hat ja bei den Kommunisten gesehen, daß die nicht funktioniert. Die andere wäre der Tausch. Eine andere Möglichkeit, wie Waren von ihrem Produzenten zum Verbraucher gelangen könnten, kann sich niemand vorstellen. Voila! Das ist der Beweis: Der Tausch ist die elementarste Wirtschaftsform.
Damit diese Logik auch schön mathematisch-deduktiv hergeleitet werden kann, rüstet man diese vorgestellte Welt mit allen möglichen Annahmen, u.a. den Grenznutzenaxiomen und noch vielen undeutlich formulierten anderen Axiomen aus. Dann muß man nur noch diese Erkenntnis aus der sich verkehrt vorgestellten Welt auf die Realität übertragen. Fertig ist der Fehlschluß.
Auf ähnliche Art ziehen Wissenschaftler auch anderer Fakultäten ihre Zuhörer über den Tisch. Sie konstruieren aus den Gegenständen der ihnen bekannten europäischen, kapitalistisch-patriarchalischen Umwelt und ihren Vorurteilen, Wertvorstellungen und Ideologien eine Welt, verwerfen zwischen diesen Gegenständen bestehende Zusammenhänge und bestimmen heimlich neue undeutliche, unbewiesene, angenommene Zusammenhänge und schließen dann auf die Realität. Das ist konditionale Logik.
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