Um die Klarheit der anderen zu fördern, möchte ich Friedrich Engels' bekannte Schrift "Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats" der Aufmerksamkeit des Lesers empfehlen. Diese Schrift wird gewöhnlich von Sozis herangezogen, wenn es um die Gleichberechtigung von Frau und Mann geht. Sie ist im Gegensatz zu vielen feministischen Schriften in klarem Deutsch verfaßt, nicht allzu umfangreich, in sich logisch konsistent und daher leicht verständlich. Also keine Angst vor der Lektüre! Sie beantwortet die Frage, wie das Patriarchat entstand und wohin es sich entwickelt.
Vor langer Zeit, da gab es noch kein Patriarchat. Da lebten die Menschen in Gentilgesellschaften. Die Frau besaß eine geachtete Stellung. Es gab keine öffentliche Gewalt, die sich gegen das Volk richten konnte. Dafür war aber das Volk bewaffnet. Eigentum gab es nicht. Ehen gab es in sehr frühen Gesellschaften auch nicht. Dafür herrschte freie Liebe, die allerdings durch das Inzestverbot beschränkt wurde. Alle Angelegenheiten wurden demokratisch geregelt. Zugleich war der Kommunismus verwirklicht, d.h. alle Volksmitglieder besaßen die gleichen Rechte und Pflichten.
Männer gingen jagen und fischen, die Frauen kümmerten sich um das Lager. Doch eines Tages kamen die Männer auf die Idee, nicht jedes Tier, das sie gefangen hatten, zu töten, um es aufzuessen, sondern es in Gefangenschaft zu halten. Die Viehwirtschaft entstand. Die war viel effizienter als die Jagd. Irgendwann entstand individuelles Eigentum. Wegen der hohen Effizienz entstand ein sogenanntes Mehrprodukt, das Sklaven ernähren konnte. Die wurden von den Viehbesitzern wegen der vielen anfallenden Arbeit auch gebraucht.
Viehbesitz war Ausdruck des Reichtums, abstraktem Reichtums. Gegen Vieh konnte man alles eintauschen, was man haben möchte. Vieh war das erste Tauschmittel. Und dieser Reichtum lag in den Händen von Männern.
Das einzige Problem, das die Herren hatten, war, daß ihr Vermögen nach ihrem Ableben der Gentilgesellschaft zufiel. Die eigenen Söhne waren enterbt. Zu ihrem Glück wurde die mütterliche Erblinie durch die väterliche ersetzt. Das Patriarchat entstand. Frauen waren nun versklavt, und hatten die Aufgabe, Söhne zu gebären, die in das väterliche Erbe eintreten konnten. Nebenbei entstand dabei die Spaltung in eine öffentliche und eine private Sphäre. Die Ehemänner zwangen die Frauen zu unbedingter ehelicher Treue, damit der Mann sicher sein konnte, daß die Kinder seiner Ehefrau auch die seinen sind.
Die Zusammenfassung übernehme ich von Friedrich Engels:
Mit den Herden nun und den übrigen neuen Reichtümern kam eine Revolution über die Familie. Der Erwerb war immer Sache des Mannes gewesen, die Mittel zum Erwerb von ihm produziert und sein Eigentum. Die Herden waren die neuen Erwerbsmittel, ihre anfängliche Zähmung und spätere Wartung sein Werk. Ihm gehörte daher das Vieh, ihm die gegen Vieh eingetauschten Waren und Sklaven. All der Überschuß, den der Erwerb jetzt lieferte, fiel dem Manne zu; die Frau genoß mit davon, aber sie hatte kein Teil am Eigentum. Der "wilde" Krieger und Jäger war im Hause zufrieden gewesen mit der zweiten Stelle, nach der Frau; der "sanftere" Hirt, auf seinen Reichtum pochend, drängte sich vor an die erste Stelle und die Frau zurück an die zweite. Und sie konnte sich nicht beklagen. Die Arbeitsteilung in der Familie hatte die Eigentumsverteilung zwischen Mann und Frau geregelt; sie war dieselbe geblieben; und doch stellte sie jetzt das bisherige häusliche Verhältnis auf den Kopf, lediglich weil die Arbeitsteilung außerhalb der Familie eine andre geworden war. Dieselbe Ursache, die der Frau ihre frühere Herrschaft im Hause gesichert: ihre Beschränkung auf die Hausarbeit, dieselbe Ursache sicherte jetzt die Herrschaft des Mannes im Hause: die Hausarbeit der Frau verschwand jetzt neben der Erwerbsarbeit des Mannes; diese war alles, jene eine unbedeutende Beigabe. Hier zeigt sich schon, daß die Befreiung der Frau, ihre Gleichstellung mit dem Manne, eine Unmöglichkeit ist und bleibt, solange die Frau von der gesellschaftlichen produktiven Arbeit ausgeschlossen und auf die häusliche Privatarbeit beschränkt bleibt. Die Befreiung der Frau wird erst möglich, sobald diese auf großem, gesellschaftlichem Maßstab an der Produktion sich beteiligen kann und die häusliche Arbeit sie nur noch in unbedeutendem Maß in Anspruch nimmt. Und dies ist erst möglich geworden durch die moderne große Industrie, die nicht nur Frauenarbeit auf großer Stufenleiter zuläßt, sondern förmlich nach ihr verlangt, und die auch die private Hausarbeit mehr und mehr in eine öffentliche Industrie aufzulösen strebt.
Die genannte Schrift enthält eine ganze Reihe weiterer interessanter Erkenntnisse. Hervorheben möchte ich folgende Schlußfolgerungen, da sie neben den Aussagen aus Friedrich Engels' Zusammenfassung die Unterschiede zum modernen Feminismus deutlich machen:
- Im Laufe tausender Jahre hat sich das Patriarchat aus matrilinearen Gentilgesellschaften herausgebildet. Das Patriarchat ist also Produkt der gesellschaftlichen Entwicklung, also kein biologisches Merkmal der menschlichen Rasse oder Gottes Wille.
- Das Privateigentum an Produktionsmitteln und der Staat, der sich herausbildete, um dieses Eigentum zu schützen, und um die Klassengegensätze zu beherrschen, sind in Zusammenhang mit dem Patriarchat entstanden.
- Vom Einfluß der Religion auf die Entstehung des Patriarchats ist hingegen keine Rede. Die vorgefundenen patriarchalischen Verhältnisse dürften wohl schon bestanden haben, als Judentum und Islam entstanden. Die gesellschaftlichen Normen jener Zeit sind dann in die Religionen eingeflossen. Nicht anzunehmen ist die von Feministen behauptete umgekehrte Wirkbeziehung, wonach das Patriarchat das Matriarchat abgelöst hätte, weil religiöse Vorstellungen das so verlangten. Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewußtsein, heißt es bei Marx. Das Patriarchat (gesellschaftliches Sein) bestimmt also die Religion (gesellschaftliches Bewußtsein) und nicht umgekehrt.
- Auch in matrilinearen Gesellschaften gilt gesellschaftliche Rollenverteilung, die sich von der heutigen im Grunde wenig unterscheidet.
- Freie Liebe, coole Partys, heiße Nächte, keine Polizei! Das hört sich toll an. Manche Feministen meinen ja, das wäre das Goldenes Zeitalter. In ihm lebte die Menschheit im Einklang mit der Natur vollkommen friedlich in gottgefälliger Weise. Diese Feministen nehmen Rousseaus Legende vom "Edlen Wilden" oder Indianer-Romantik zu ernst. Sie haben wohl noch nie etwas über die befremdlichen Auswirkungen des Gewohnheitsrechtes dieser Gesellschaften wie die Blutrache oder den Brautraub gehört. Mütter haben ihre Kinder über ihre Köpfe hinweg verkuppelt. Für Angehöriger fremder Stämme galt kein Recht.
- Im Proletariat der Industriegesellschaft löst sich das Patriarchat auf. Hin und wieder gibt es zwar noch Gewalt in dessen Ehen. Aber das Patriarchat hat im Proletariat keine Zukunft, weil die ökonomische Basis des Patriarchats abhanden gekommen ist: das Vermögen des Mannes und die Abhängigkeit der Frau. Das möchten Feministen bedenken, die sich bitterlich über Einwandererkinder beklagen, und befürchten, daß die ungezügelte Männergewalt der Einwanderersöhne auf die deutsche Altbevölkerung abfärben könnte.
Marxisten wie Friedrich Engels wären keine, wenn sie nicht wüßten, daß gesellschaftliche Produkte wie das Patriarchat sich nicht mit der Zeit wandeln würden. Seine Schrift handelt von der Frühgeschichte menschlicher Gesellschaft. In der modernen Industriegesellschaft trifft man nur noch Rudimente dieses Patriarchats an, das in frühen traditionellen Gesellschaften üblich war. Seine Ehefrau zu töten oder zu züchtigen, ist nicht mehr das Recht des Mannes. Die Institution der Ehe an sich wird schon in Frage gestellt. Söhne werden nicht mehr als Stammhalter angesehen, haben also nicht höheren Wert als Töchter. Unfruchtbare und untreue Frauen werden nicht einfach so verstoßen. Frauen haben heute formal dieselben bürgerlichen Rechte wie Männer. An die Stelle alter patriarchalischer Abhängigkeit und Rechtlosigkeit treten jedoch neue Probleme. Immer mehr Kinder werden von alleinerziehenden Eltern erzogen. Alleinerziehende Mütter sind nicht mehr von Vätern abhängig. Dafür betrifft sie soziale Probleme stärker als andere Bevölkerungsgruppen. Im vorangegangenen Blogbeitrag habe ich erwähnt, daß die Verantwortung für die Kinder im wesentlichen immer noch allein bei der Mutter liegt. Auf Grund der Last dieser Verantwortung sind Frauen immer noch benachteiligt.
Der moderne Feminismus dürfte praktikable Lösungen in dieser Frage hintertreiben, da sein Anliegen darin besteht, Feindbilder zu erzeugen, und den politischen Gestaltungswillen der Bürger in unproduktive und destruktive Bahnen zu lenken.
Ergänzung: Weitere Blogger lehnen Engels' Konzeption von Patriarchat ab, und bestreiten, daß es je ein Matriarchat gegeben haben könnte. Das behauptet allerdings auch Engels nicht, zumindest, wenn man Matriarchat als Mütterherrschaft auffaßt.
Die entscheidende Rolle in Engels' Patriarchatskonzeption besteht in der ökonomischen Macht des Mannes. Diese ist auch für die patriarchalische Ehe bis in die Neuzeit belegbar, und kein rein spekulatives Konstrukt.
In feministischen Texten entstammt die Macht des Mannes hingegen einer geheimnisvollen heteronormativen Matrix. Woher die Macht des Mannes stammt, bleibt dabei vollkommen im Dunkeln.