Montag, 5. März 2012

Zusammenhänge

Das ist ja prima! Endlich kommen die Netzbürger dahinter, wen sich unsere Republik mit Herrn Gauck einhandelt. Bis vor noch nicht allzu langer Zeit waren ja kritische Anmerkungen zu seiner Person selten. Die Begeisterung für seine Person habe ich nie verstanden. Netzbürger halten sich doch sonst für kritische Zeitgenossen und lehnen die Bildzeitung ab.

Mir war der Mann nie sympathisch. Ich wußte aber nie, wie ich diesen Widerwillen rechtfertigen soll. Jetzt endlich ahne ich, wie eine Rechtfertigung beginnen könnte. An anderer Stelle erwähnte ich schon, daß man häufig den Kontext deutlich machen muß, wenn man Aussagen richtig verstehen will. Es heißt ja, kritische Netzbürger würden Herrn Pfarrer Gaucks Aussagen aus dem Zusammenhang reißen.

Nein, mit dem Zusammenhang steht alles in bester Ordnung. Die meisten Netzbürger verstehen Herrn Pfarrer Gauck schon richtig. Aber den Zusammenhang müßte man deutlich machen. Zum Glück gibt es aber ja das Internet, an dem sich jeder Weltbürger beteiligen kann. Das, was man im Internet findet, entspricht genau dem, was der Weltbürger denkt. Dafür liebe ich das Internet! Es bietet nicht nur die Pressefreiheit für jeden. Es dokumentiert auch jeden Gedanken, jede Dummheit, jeden Konflikt und jede Ideologie, und natürlich auch, wie Herr Pfarrer Gauck in der Öffentlichkeit verstanden wird. Ich verpflichtete ja nicht umsonst schon jeden klugen Menschen zur Lektüre problematischer Internetinhalte, also auch schräger, böswilliger, antisemitischer Inhalte, und forderte von diesen Menschen, daß wenn sie sich über sie auslassen, daß sie das mit Angabe von Quelle tun mögen.

Da gibt es einen melancholischen Blog, der sich mächtig ins Zeug legt, Herrn Pfarrer Gauck zu verteidigen. Dumm für ihn ist, daß er meine Abneigung gegenüber Herrn Pfarrer Gauck nur bestätigt, und ich zu ahnen beginne, woran das liegt. Diesen Blog empfehle ich also ausdrücklich der Lektüre. Der betreffende Blogger schreibt aus einer sehr persönlichen Sicht, und sehr eindringlich, und sehr ehrlich. Dieser Blog macht einen starken Eindruck. Dank seinen Ausführungen weiß ich, wie die Verteidiger Gaucks Gauck verstehen. Und dank der persönlichen Perspektive und seiner beachtlichen Ehrlichkeit entwickelt dieser Blogger wohl unbeabsichtigt ein grandioses Bild seines Ressentiments, seiner Projektionen, die seinem misanthropischen Weltbild zugrunde liegt, das ihn dazu bringt, Herrn Pfarrer Gauck zu verteidigen. Aber bitte, lest selbst! - und das hier gleich auch noch!

Ja, aber! Von einem einzelnen auf den allgemeinen Fall schließen; das geht nicht. Das ist sicherlich richtig. Aber dieser Blogger hat im Unterschied zu anderen durchaus Qualitäten. Zum Beispiel pflegt er sich deutlich und klar auszudrücken, besonders, wenn er psychologischen Stoff behandelt. Deshalb habe ich mich auf ihn beschränkt. Auf der anderen Seite habe ich mit Gaucks Erscheinung keine besseren Erfahrungen machen können. Für mich bleibt Gauck also jemand, der für einen zweifelhaften Begriff von Freiheit und für das Ressentiment streitet. Ich erwarte nichts Gutes von ihm.

Nachtrag: Hätte ich nur einen kleinen Augenblick gewartet, wäre dieser Beitrag nicht entstanden. Da gibt es doch tatsächlich jemanden, der zu genau derselben Zeit den gleichen Gedanken hatte wie ich, nur umfassender ausgeführt und besser formuliert.

noch ein Nachtrag: Ehe nach einer gewissen Zeit die Gauck-Geschichte vergessen ist, und man diesen Blogbeitrag vielleicht nicht mehr verstehen kann, möchte ich auf einen Aufsatz verweisen, der meine eigenen Blogbetrachtungen angestoßen hat. Sinngemäß wird hier angemerkt, daß das Netzvolk Gaucks Aussagen aus dem Zusammenhang risse. Er sei ja aber ein Mann der langen Worte, ausschweifend, ausholend, der Empathie für sein Gegenüber fähig usw., und da müsse man seine Aussagen auch differenzierter betrachten und vermeiden, sich zu schnell ein zu einfaches Urteil über ihn zu bilden.

Nun. Es gibt ja nicht nur die blökende Netzherde, die sich bei Twitter und Facebook herumtreibt. Inzwischenn etabliert sich auch die Kunst der Gauck-Exegese, die nachweist, daß Gauck, "verschwurbelt" oder "relativierend" zwar, aber doch rhetorisch ausgrenzt, spaltet. Ich möchte auf Till Westermayers Beitrag verweisen, der belegt, daß auch ein Mann der langen Worte, ausschweifend, ausholend einen Ausgrenzungsdiskurs führen kann.

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